Vor ein paar Tagen habe ich mir - aus Neugierde - mal den Effekt der Nuklearkatastrophe von Fukushima auf die Aufrufzahlen des Artikels Kernkraftwerk in der Wikipedia angeschaut und auch einen internationalen Vergleich gebastelt. Die Daten dafür lieferte mir das Tool stats.grok.se.
Die ersten Vergleiche waren recht trivial: Über das Jahr von Februar 2010 bis Februar 2011 schwankten die Zugriffszahlen auf den deutschsprachigen Artikel zwischen 20.000 und 80.000 Zugriffen pro Monat und lagen im Mittel bei etwa 40.000 Zugriffen pro Monat. Im März 2011 gab es, natürlich bedingt durch die Katastrophe in Japan und die nachfolgende Diskussion einen Anstieg um fast das 20-fache auf 830.000 Zugriffe im Monat, wobei allein am 14. März 130.500 Zugriffe erfolgten:
Viel spannender wurde es dann aber bei der Betrachtung der Zugriffszahlen im internationalen Vergleich, die in den nächsten beiden Abbildungen dargestellt werden. Dabei fällt im Mai 2010 (der eher willkürlich als Referenz genommen wurde) auf, dass die Aufrufzahlen des englischsprachigen Artikels "Nuclear power" etwa 4-mal so hoch lagen als die des deutschsprachigen Artikels Kernkraftwerk, die japanische Version verzeichnete etwa die Hälfte der Zugriffe - das ist wenig verwunderlich und erklärt sich allein anhand der normalen Zugriffszahlen auf die verschiedenen Sprachversionen:
Im März 2011 geschah jedoch etwas, das mich sehr verwunderte: Natürlich nahmen in allen Sprachversionen die Zugriffe massiv zu - insbesondere in der japanischen Sprachversion stiegen aufgrund der direkten Betroffenheit die Zugriffe auf mehr als 1,2 Mio. in dem Monat. Während in der englischsprachigen Wikipedia die Zugriffe allerdings um etwa das 5-fache anstiegen schossen sie in der deutschsprachigen Wikipedia um den bereits benannten Faktor von fast 20 in die Höhe, sodass der Unterschied zwischen englisch- und deutschsprachiger Version im März 2011 nur noch etwa 4% betrug. Einen ähnlichen Effekt gab es in keiner anderen der untersuchten Wikipedien:
Ich bin in der Folge mehrfach auf Artikel des Spiegel online gestossen, die die German Angst bezüglich der Atomkraft thematisieren, etwa hier und hier. Ohne auf die Interpretationen näher einzugehen - das können andere besser als ich - bestätigen meine Analysen sehr deutlich, dass es zumindest den Effekt tatsächlich gibt und dass er sich exzellent an den Zugriffszahlen auf die Wikipedia und dem damit nachweisbaren Informationsbedürfnis demonstrieren lässt.
Nachtrag/Korrektur: Bei dem Faktor ist versehentlich eine 0 zuviel reingerutscht und er war damit natürlich um das 10-fache zu hoch. Die Steigerung lag also statt um Faktor 200 nur bei Faktor 20 (genauer: 18). Danke an Maggie in Französisch-Guyana für den Hinweis.
Willkommen im privaten Blog von Achim Raschka. Ich schreibe hier sporadisch zu Themen, mit denen ich mich gerade beschäftige - der Titel ist dabei exemplarisch und bezieht sich auf Einzelaspekte, Neben Brot (und anderen Speisen), Musik (in allen Varianten) und Spielen (vor allem wohl analoges) finden sich vor allem Themen zur Wikipedia und ... was mir halt noch so alles einfällt.
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8 Kommentare:
Natürlich ist das Informationsbedürfnis groß, wenn Menschen subjektiv oder objektiv von Katastrophen betroffen sind. Ich persönlich würde weniger von "Angst der Deutschen" sprechen sondern eher von der Gleichgültigkeit in anderen Staaten. Wenn die Menschen allerdings auch nicht über die Gefahren aufgeklärt werden, bleibt das Interesse gering. Es ist übrigens gut, dass die Wikipedia-Artikel interlingual vernetzt sind.
"German angst" - oder schlicht eine Reaktion darauf, dass es in Deutschland eine breite öffentliche Atom-Debatte nach Fukushima gibt/gab (die wiederum was mit anstehenden Wahlkämpfen, dem aufgekündigten Atomkonsens, ... zu tun hat)?
@Till: Wie die obere Grafik zeigt, liegt der Haupteffekt am 14.3 und den direkten Folgetagen - die Atomausstiegsdiskussion im Vorfeld der Wahl verstärkt den Effekt also tatsächlich nochmals - ob sich damit 200-faches Interesse erklären lässt?
@Norbert: "German Angst" als feststehender Begriff - ohn die dahinterstehenden Beweggründe zu diskreditieren oder in Zweifel zu ziehen. Fakt: Die Deutschen sind besorgter als andere.
Die deutsch- und englischsprachigen Wikipedia-Versionen scheinen mir in diesem Fall nicht direkt vergleichbar zu sein (wenn auch die generelle, von Dir beobachtete Tendenz sicher zutrifft): Die en-Version von "Kernkraftwerk" heißt nicht - wie es korrekt wäre - "nuclear power plant" (nur eine Weiterleitung), sondern "nuclear power". Dieser Artikel ist aber wiederum per Interwiki mit dem deutschen Lemma "Kernenergie" verknüpft und nicht mit "Kernkraftwerk".
Die jeweiligen IW-Verknüpfungen sind also inkonsistent und man wird als über die Sprachversionen springender Benutzer ziemlich in die Irre geführt.
@Wolfgang: War mir ebenfalls aufgefallen - entsprechend bin ich bei allen Sprachversionen von der deutschsprachigen Version gestartet und habe die letztendlichen Ziele (in en also "nuclear power") genutzt. Ich denke, an dem Effekt ändert das wenig - man könnte maximal darüber spekulieren, warum die englischsprachige Version einen eigenen Artikel über die "nuclear power plant" nicht hat.
@Achim: Interessant wäre dazu dann aber auch ein Abrufzahlen-Vergleich der eigentlichen Entsprechungen "nuclear power" und "Kernenergie". Möglicherweise war hier der Unterschied noch größer.
"Kernenergie has been viewed 183653 times in 201103."
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Frank Schulenburg letzten Monat. Er erzählte, daß es in den USA in den Medien kaum eine vergleichbare Berichterstattung wie in Deutschland gibt. Die Zeitungen - selbst die bekannten, angesehenen, überregionalen - sind sehr primitiv gehalten, daß auch jeder Hillbillie sie noch versteht. Das Fernsehen kennt fast keine Berichterstattung zu Auslandsthemen. Wenn man nichts erfährt - wie soll man dann alarmiert sein? Klar werden die nebenbei auch davon erfahren, aber ohne ein einigermaßen unabhängiges Mediensystem kann kein interesse entstehen.
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