Sonntag, 8. Juni 2014

Pschyrembel Sexualität, Seite 1

Was macht der gemeine Wikipedianer, wenn draussen die Sonne die Luft auf unerträgliche Grade aufheizt? Richtig: Er hockt sich in seinen eigenen vier kühlen Wänden auf's Sofa und greift sich ein Buch, um das Wissen der Menschheit zu mehren. Eher zufällig griff also ich mal wieder vergleichsweise wahllos in mein Bücherregal und kam mit dem 2003 als Sonderband des bekannten Medizin-Standardwerks Pschyrembel erschienen "Pschyrembel Wörterbuch Sexualität" zurück. Die Idee "Mal sehen, welche Stichworte denn noch fehlen", ist dabei weder neu noch innovativ - aber doch immer wieder überraschen: Vor allem im wortwörtlich "sexy"-Bereich Sexualität sollten wir doch mittlerweile eigentlich alles in unsere 1,725 Millionen Artikel umfassende Online-Enzyklopädie aufgesaugt haben ... oder etwa nicht?

Ich begann also, mich mit der Seite 1 des Lexikons zu beschäftigen. Das Werk ist handlich und zweispalitg bedruckt, die Einträge bis auf Ausnahmen lexikalisch kurz. Die Seite 1 enthält dabei 16 Einträge - und mit denen war ich denn auch einige Zeit beschäftigt:
  • AAM - eine Abkürzung für Angebohrener Auslösemechanismus und damit auch nicht mehr als eine Weiterleitung. Der Artikel zum Angebohrenen Auslösemechanismus ist sogar richtig gut, Handlungsdarf also nicht vorhanden.
  • AASECT - o.k., noch eine Abkürzung und diese weist auf die American Association of Sex Educators, Counselors und Therapists; zu dieser Gesellschaft haben wir noch keinen Artikel und er wandert auf meine Wunschliste.
  • Nun wir es zum ersten Mal spannend: Abartigkeit ... was mache ich jetzt damit? Ich entschliesse mich, die drei Zeilen in den vorhandenen Kurzartikel einzuflechten und gehe weiter ...
  • zu Abasiophilie. Ein schöner Begriff für das Quizduell und ähnliche Spiele und zugleich ein Begriff, der mich nun doch ein wenig länger aufhält. Wir hatten den Begriff noch nicht in der Wikipedia (jetzt ist er als Weiterleitung vorhanden) und auch den eng damit verknüpften Amputationsfetischismus suchte man vergeblich. WTF? Richtig: Abasiephilie bezeichnet die sexuelle Bevorzuung von gehbehinderten Partnern. Bei der weiteren Suche stiess ich dann auf den Amelotatismus, der den übergreifende Deformationsfetischismus beschrieb (und lt. Pschyrembel nur ein Teil desselben ist). Zusammenfassend bezeichnet er die Apotemnophilie, dem Wunsch nach der Amputation eigener Gliedmaßen, wie auch die Acrotomophilie, mit der Lust an Verstümmelungen des Partners. Ich kläre also die Zusammenhänge der verschiedenen Fetischismen auf, ergänze die Abasiophilie und den Amputationsfetischismus und lege mehrere Weiterleitungen an - dadurch bin ich mittlerweile Hauptautor des Artikels, den ich vorher nie gesehen habe. Seitenbemerkung: Der Versuch, die Interwiki-Verlinkungen auf den Artikel via WikiData zu fixen, schlug grandios fehl ...
  • Abbruch - Begriffsklärung mit Verweis auf den Schwangerschaftsabbruch.
  • Abbruchblutung - eigentlich auch nicht sonderlich kompliziert und ein Artikel ist vorhanden. Ich ergänze einen Satz, stelle ein paar andere Punkte um und belege mit dem Pschyrembel ... und bin nun auch hier Hauptautor.
  • Abdominalgravidität oder Bauchhöhlenschwangerschaft - hier ist ein guter Artikel vorhanden und ich sehe keinen Ergänzungsbedarf aus dem Pschyrembel.
  • Abelmoschus moschatus - eine Pflanze, aus der sich ein moschusartiger Geruch extrahieren lässt. Haben wir noch nicht, kommt in die Wunschliste.
  • Abenteuer - gemeint ist die Kurzaffäre, kennt man ja; wird aber in dem Artikel Abenteuer der Wikipedia nicht behandelt. Ergebnis: eine Begriffsklärungsseite wurde neu angelegt.
  • Abenteuersexualität - never heard, könnte aber spannend sein und hat keinen eigenen Wikipediaartikel bisher -> Wunschliste.
  • Aberglaube ist natürlich tricky. Natürlich haben wir dazu einen umfassenden und sicher auch hart umkämpften Wikipedia-Artikel, also beschränke ich mich auf eine Änderung der Formulierungen im Einleitungsteil und warte ab, ob das Bestand haben wird - sieht gut aus bis jetzt.
  • Aberratio menstruorum, eine nach innen gerichtete Menstruation, gibt es noch nicht - > Wunschliste
  • Aberration gibt es als Begriffsklärungsseite und ich ergänze und strukturiere ein wenig.
  • Aberratio testis als Sammelbezeichnung für Lageanomalien des Hodens gab es zwar noch nicht, dem konnte jedoch durch die Anlage einer Weiterleitung und der Einfügung des Begriffs im umfangreichen Artikel zum Thema abgeholfen werden.
  • Abfuhr - das könnte noch spannend werden. In der Begriffsklärung tauchte der Begriff in der  von Sigmund Freud geprägten Bedeutung bisher nicht auf-> eingetragen und auf die Wunschliste
  • Abhängigkeit - dieser Eintrag nimmt etwa ein Viertel der Seite sowie auf der Seite 2 mehr als eine vollständige zusätzliche Spalte ein und beschreibt verschiedene Formen und Ausprägungen der Abhängigkeit. Beim Abgleich mit der Wikipedia fällt auf, dass dort die Fokussierung eigentlich vollständig auf Suchtphänomene (Drogen und substanzunabhängige Abhängigkeiten wie Spielsucht) liegt. Abhängigkeiten zwischen Personen kommen in der Wikipedia dagegen quasi nicht vor, wodurch die Begriffe Sexuelle Abhängigkeit und Juristische Abhängigkeit in die Wunschliste wandern. Hier kann man sicher noch einiges an Inhalten schaffen.
All in all bin ich doch sehr überrascht - meine Eingangsthese "haben wir alles schon" liess sich zumindest an diesem Kurzexperiment  nicht halten. Insgesamt legte ich anhand dieser einen Seite heute 5 Weiterleitungen und eine neue Begriffsklärungsseite an, dazu kamen einige Überarbeitungen die zu zwei Hauptautorenschaften führten. Meine Wunschliste ist zudem um 8 Lemmata reicher. Das Buch hat übrigens 620 Seiten ...

Ich ziehe hieraus jetzt keine Schlüsse, vor allem keine die die Qualität unserer sehr gut arbeitenden Redaktion Medizin in Frage stellen würde - zumal ich ja auch keine wirklichen Fehler entdeckt habe. Ich stelle allerdings mal wieder fest, dass wir von dem Ziel Vollständigkeit auch in diesem gut bearbeiteten Bereich offensichtlich noch Äonen entfernt sind und kann die vielbeschworene "Wir haben ja mittlerweile alle Artikel" nur ein weiteres Mal kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Ich gehe davon aus, dass das gleiche Ergebnis auch beim Griff zum Handbuch Pädagogik, Baustilkunde oder dem Künstlerlexikon zustande gekommen wäre.

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